Morgen wird es anders

Wie soll man die Ängste der Familien schildern, denen die Stadtwerke mitten im Winter Strom und Gas sperren und dem Heim alle Wärme nehmen?

In einer dieser Familien ist das Jüngste kaum zwei Wochen alt. Seine Mutter weiß nicht, wie sie es nachts warm halten soll. Am Tag nehmen es die Nachbarn zu sich in die warme Wohnung. Der Älteste ist drei. Gestern hat ihn die Mutter im eiskalten Zimmer waschen müssen, das Wasser war auf dem Campingkocher nur lauwarm geworden. Das Kind weint, es zittert vor Kälte und Angst. Die Nachbarin würde es gern in die Arme nehmen und fest an sich drücken, aber sie traut sich nicht, wegen ihrer eigenen Kinder. „Die wären noch imstande, mir zu sagen: Rühr ihn nicht an, er ist dreckig, er stinkt!“

Denkt denn, wer Gas und Strom absperrt, nicht an die frierenden Kleinen, an die Mütter, die verzweifeln, weil sie ihre Kinder nicht wärmen und den Vater nicht freudig empfangen können, wenn er nach harter Arbeitssuche heimkommt. Diesen Winter habe ich sogar Familien kennengelernt, denen man das Wasser abgesperrt hatte. Und ich erinnere mich an Madame Planque, die sagte: „Ohne Heizung und ohne Strom hielten wir noch durch. Doch als man uns das Wasser absperrte, war’s aus, tiefer konnten wir nicht mehr fallen.“

Haben wir überhaupt eine Vorstellung von der Not der Mütter, wenn kein Wasser da ist, und sie die Kinder nicht mehr waschen können, das Klo nicht mehr spülen, nicht mehr kochen können?

„Wir können doch nicht nur von Butterbroten leben!“ sagte eine Frau in ihrer Not. Wie soll man die Wäsche waschen, putzen und Geschirr spülen? Doch vor allem: Wie soll man sauber bleiben und sich in seiner Haut wohl fühlen? In einer Nachbarsiedlung sagte mir eine Frau, von der milden Witterung der letzten Januarwoche getäuscht: „Jetzt, wo der Frühling da ist, wird’s leichter gehen.“ Diese Mutter glaubte ernstlich, dass die warme Jahreszeit gekommen sei; sie wollte es so. Die Menschen im Elend glauben immer, dass es morgen anders wird. Und ich glaube es mit ihnen.

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