Biographie
Joseph Wresinski wurde am 12. Februar 1917 in Angers (Frankreich) geboren, wo seine Familie während des Ersten Weltkriegs interniert war. Sein Vater, Wladyslaw Wrzesinski, trug als Pole einen deutschen Pass, die Mutter, Lucrezia Sellas y Lopez, stammte aus Spanien. Joseph war das zweite von vier überlebenden Kindern. Fremdenfeindlichkeit und die Suche nach einem Verdienst trieben den Vater später aus Angers fort. Die Familie war auf Unterstützung angewiesen und bekam die Verachtung der Umgebung zu spüren.
„Almosen, nicht Freundschaft verbanden uns mit den anderen.“
Als Konditorlehrling in Nantes engagierte er sich in der Christlichen Arbeiterjugend CAJ. Er entschloss sich Priester zu werden, um den Armen das Evangelium zu bringen und „für sie zu kämpfen, damit niemals mehr eine Familie das gleiche durchmachen musste wie die meine.“ 1946 wurde er in Soissons geweiht. Er war mit der Bewegung der Arbeiterpriester verbunden und wirkte während sechs Jahren als Pfarrer in Dhuizel, einem Dorf im Departement Aisne.
1956 stellte ihn sein Bischof frei für die Seelsorge im Obdachlosenlager von Noisy-le-Grand bei Paris. Zehn Jahre lang teilte Père Joseph (wie er nun häufig genannt wurde) das Leben der etwa 250 Familien, die dort in röhrenförmigen „Nissenhütten“ untergebracht waren. Er widersetzte sich allen Versuchen, sie in „Integrierbare“ und „Nichtresozialisierbare“ aufspalten, und schuf mit ihnen Strukturen für ein Gemeinschaftsleben sowie einen Verein, um die gemeinsamen Anliegen zu vertreten.
„Ich war besessen von der Idee, dass diese Familien niemals aus ihrem Elend herauskommen würden, solange sie nicht in ihrer Gesamtheit, als Volk, überall da empfangen würden, wo die übrigen Menschen diskutieren und sich abmühen.“
Junge Männer und Frauen mit ganz verschiedenen Berufen engagierten sich als Freiwillige. Mit ihnen baute er eine Gemeinschaft fachlich kompetenter Mitarbeiter auf: das „Volontariat“. Er gewann auch Freunde und Verbündete, die mit ihrem guten Ruf für die entstehende Bewegung bürgten.
Um die im Zusammenleben mit armutsbetroffenen Familien gewonnenen Erkenntnisse im Dialog mit der Gesellschaft fruchtbar zu machen, gründete Wresinski 1960 ein Forschungsinstitut. In den Ausgeschlossenen der modernen Wohlstandsgesellschaften erkannte er die Erben des „Vierten Standes“, der zur Zeit der französischen Revolution vergeblich seine Rechte eingefordert hatte, und des „Lumpenproletariats“, das in den Kämpfen der organisierten Arbeiterschaft keinen Platz gefunden hatte. Als Ausdruck dieser gemeinsamen Identität prägte er 1969 den Namen „Quart Monde“ (Vierte Welt).
Wresinskis Ziel war es, die Menschen, die weltweit in extremer Armut leben, als gleichberechtigte Partner ins politische, wirtschaftliche, kulturelle und religiöse Leben einzubringen. Als Mitglied des französischen Wirtschafts- und Sozialrats legte er 1987 einen Armutsbericht vor, der wegweisend wurde für diese Partnerschaft. Er definiert Armut als eine Frage des Zugangs zu Rechten und Verantwortlichkeiten :
„Wirtschaftliche und soziale Unsicherheit … führt dann zu schwerer Armut, wenn sie mehrere Existenzbereiche berührt, wenn sie über einen längeren Zeitraum anhält, wenn sie die Möglichkeiten beeintächtigt, aus eigener Kraft in absehbarer Zeit seine Verantwortlichkeiten wieder zu übernehmen und seine Rechte zurückzuerwerben“.
Mit der Einweihung einer Steinplatte zu Ehren der Opfer von Hunger, Unwissenheit und Gewalt am 17. Oktober 1987 auf dem Trocaderoplatz in Paris begründete Wresinski den „Welttag zur Überwindung von Armut und Ausgrenzung“. Dieser wurde 1992 von der UNO anerkannt. Seine zentrale Botschaft lautet:
„Wo immer Menschen dazu verurteilt sind, im Elend zu leben, werden die Menschenrechte verletzt. Sich mit vereinten Kräften für ihre Achtung einzusetzen, ist heilige Pflicht.“
Père Joseph verstarb am 14. Februar 1988 und ist im internationalen Zentrum von ATD Vierte Welt in Méry-sur-Oise begraben. Sein Nachlass wird im Internationalen Joseph Wresinski Zentrum in Baillet-en-France aufbewahrt und der Öffentlichkeit zugänglich gemacht.
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