Diener sein

Als ich zum Priester geweiht wurde, fragte man mich: „Welche Stelle aus dem Evangelium ist für dein Leben wegweisend?“ Ich antwortete sofort: „Fahr hinaus, und wirf deine Netze aus!1. (Lk 5,4) Das war es, was die ersten Jahre meines Priestertums bewegte: auf andere zuzugehen, andere zu treffen. Und je ärmer sie waren, desto mehr sehnte ich mich danach, ihnen zu begegnen, ich wollte mein Leben mit ihrem Leben verbinden. Aber mir wurde klar, dass dies eigentlich nicht wirklich erforderte, ein Diener im wahren Sinne des Wortes zu sein, d. h. jemand, der uneingeschränkt der Anweisung des Herrn verpflichtet ist. Nur weil ich unter den Armen lebte, wie sie fror und wie sie an Brotmangel litt, war ich also nicht wirklich der Diener dieses Volkes im Elend, in dessen Mitte ich lebte. Ich hatte meine Abwehrkräfte. Ich hatte auch meine Persönlichkeit. Ich hatte das, was ich im Seminar gelernt hatte, und schließlich stand eine ganze Kirche hinter mir. Freilich lebte ich in einem Slum, freilich fehlte es mir an Brot, aber ich wusste, dass an dem Tag, an dem ich es wollte, … immer noch eine Kirche hinter mir stand. Sie war letztlich meine Stärke.

Diener zu sein ist nicht so einfach, wie man vielleicht denkt. Denn man hat doch immer irgendwelche Rücklagen und bestimmt ein paar Kekse in der Tasche. 2

Im Grunde habe ich in meinem Leben als Priester, unter den Menschen und insbesondere unter den Armen entdeckt, dass ich keinem von ihnen wirklich dienen konnte, wenn ich nicht vor allem Diener derer war, die sich mir anschlossen, die bereit waren, ihre soziale Stellung aufzugeben und Volontäre in der Bewegung ATD Vierte Welt zu werden, Diener derer, die meine Gefährt:innen geworden waren. Der Tag, an dem ich das begriffen habe – Sie können sich nicht vorstellen, wie befreiend das für mich war.

 Denn als ich selbst mitten im Elend engagiert war, kam mir schon manchmal der Gedanke, den auszusprechen ich mich hütete: „Ich bin ein großartiger Kerl, ich bin ein guter Mensch, ich mache so viel!!!“

Der Tag, an dem ich entdeckte, dass nicht die Armen mich lehren konnten, ein Diener zu sein, sondern diejenigen, die sich vorbereiten, heranreifen und sich ausbilden mussten, um inmitten des Elends zu leben, war eine außergewöhnliche Befreiung. Von diesem Moment an war ich davon überzeugt, dass alle Menschen nicht nur gerettet werden können, sondern auch Retter sein können.

Das war überwältigend, eine wahre innere Revolution. Ich entdeckte, dass ich anderen Menschen zutiefst vertrauen konnte. Es war in der Haltung des Dienens – biblisch gesprochen bei der Fußwaschung 3 – dass ich sie kennenlernte. Ich habe sie erlebt, als sie spirituelle, affektive, physische, gesundheitliche oder andere Schwierigkeiten hatten. Ich habe sie in Momenten großer Begeisterung und dann in Momenten großer Niedergeschlagenheit erlebt. Ich habe ihre Schwächen und auch ihren Mut kennengelernt. Ich kann sagen, dass ich sie in mein Leben, in mein Herz eingelassen habe, als wären sie die einzigen Wesen, die für mich zählen. Und so widme ich mich seit etwa 15 Jahren gänzlich der Begegnung mit den Volontär:innen, die in der Welt an Brennpunkten großer Not leben, – der Begegnung mehr noch als ihrer Ausbildung. Ich sage mir, dass ich ein befreiter Mensch bin, weil ich an sie glaube, weil ich sicher bin, dass alle, dass wir alle dazu berufen sind, Befreier zu sein. Dies setzt voraus, dass wir lernen, zuerst denen zu dienen, die sich an unserer Seite einsetzen, ihnen wirklich zu dienen, nicht nur mit Worten, sondern auf eine Art und Weise, die unser ganzes Leben umkrempelt und verändert.

1 Komentare Kommentar schreiben

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert